Montag, 27. Februar 2017

Ich frag mal nach... bei Jakob Funke


Quelle: privat

 

„Wenn’s weh tut: weitermachen!“


Ich hasse Sport. Churchill hätte mich geliebt. Möglicherweise besteht da auch eine verwandtschaftliche Beziehung. Werde ich prüfen lassen. Jedenfalls: Sport ist echt nicht meins. Ich hab generell zu all diesem Bewegungs-Kram und dem Fitness-Hype eine eher laxe Einstellung. Die Menschen können sich alle dehnen und spreizen und beugen, soviel sie möchten. Aber ich werde mich sicher nicht in albernen Klamotten auf ein Laufband stellen. Und wenn die Natur wollen würde, dass ich in ihr jogge, hätte sie mir das bestimmt schon irgendwie mitgeteilt. Mannschaftssport scheidet aus, weil da andere Menschen sind, die gerne Sport machen und ich würde diese Menschen irgendwann hassen und ihnen den Tennis-/Hand-/Federball mitten in ihre verschwitzte Vi…



Aber ich schweife ab. Sport ist natürlich cool. Also unter bestimmten Voraussetzungen. Erstens: ich kann daheim bleiben. Vorzugsweise auf dem Sofa. Zweitens: Ich schaue nur dabei zu und kann umschalten, wenn es langweilig wird. Drittens: man reiche mir Messer und Gabel.

Ich sehe anderen wirklich gerne dabei zu, wie sie Sport machen. Wäre „Olympia-Wettbewerbe im TV schauen“ eine olympische Sportart, wäre ich Favorit auf eine Goldmedaille. Ich geh manchmal sogar live hin. Also, nicht zu Olympia, das ist selten bei mir um die Ecke. Aber in Fußballstadien bin ich bereits gesehen worden. Und bald sieht man mich bei Leichtathletik-Events in der ersten Reihe. Und da werde ich Jakob Funke supporten.

Jakob ist 16 Jahre alt und begeisterter Sportler. War ich auch noch in dem Alter. Da hab ich Tennis gespielt und war Vereinsmeister im Doppel. Mein Tennistrainer sagte damals zu mir, ich sei eine Mischung aus Björn Borg und Lothar Matthäus. Ich weiß nicht, ob er das als Kompliment meinte. Meine Aversion gegen Sport, den ich selbst schwitzend betreiben muss, manifestierte sich in der 9. oder 10. Klasse. Leichtathletik. 100-Meter-Lauf. Während eines Laufs fiel ich nach gut der Hälfte der Strecke hin, weil mir die Kniescheibe rausgesprungen ist. Das sieht übrigens echt schlimm aus. Ist mir später nochmal beim Tennis passiert, das war auch nicht schön, aber das erzähl ich dann mal in privater Runde. Jedenfalls: ich lag da, die Kniescheibe gefühlte Kilometer neben mir, ich schrie. Meine Klassenkameraden blieben stehen. Und unser Sportlehrer, Herr Müller, brüllte sie an: „Lauft weiter, eure Zeit läuft.“  Ich bekam ein Attest für den Rest des Schuljahres. Und auf dem Zeugnis eine 4. Trotz Attest. Ich wurde halt Letzter über 100 Meter. Man musste Herrn Müller einfach mögen.

Apropos mögen: ich mag Jakob Funke. Das ist ein intelligenter, witziger und halt total sportlicher junger Mann. Was der für ein Pensum ableistet, nötigt mir Respekt ab. Also hab ich mich mit ihm verabredet. Weil ich wissen wollte, was ihn antreibt, warum Sport für ihn das Leben ist und ob er Spitzensportler werden will. Und ob Sportlehrer wirklich ausnahmslos Arschlöcher sein müssen.
Und vor allem, weil ich der Meinung bin, dass jeder diesen Jakob kennenlernen sollte und weil es auf der Welt mehr Leute wie Jakob geben müsste. Es müsste jeder so einen Jakob im Freundeskreis haben. Ich hab jedenfalls einen.

Lieber Jakob, was ist die beste Geschichte, die du erzählen kannst?
Ich bin ja Fan vom Fliegen. Zuhause im Keller habe ich einen Flugsimulator, den nutze ich immer gerne, um abzuschalten nach einer harten Trainingswoche oder einem Wettkampf. Einmal war ich in Leipzig in einem großen, professionellen Flugsimulator, ähnlich denen, die auch Piloten nutzen, um sich aus- oder weiterzubilden. Es war natürlich alles viel größer und imposanter als bei mir im Keller. Ich musste Pedale benutzen, wovon ich total überfordert war, weil ich die daheim nicht habe, es gab viel mehr Knöpfe und Regler. Ich bin da total ins Schwitzen gekommen, weil ich außer der Landung nichts richtig gut hinbekommen habe, das war mir doch sehr peinlich.

So wie ich dich kenne, wirst du deswegen nicht vom Fliegen lassen…
Auf keinen Fall. Ich hab zum Geburtstag einen Rundflug geschenkt bekommen. Ein älterer Herr wird mit mir in Alkersleben starten und ich würde dann gern über Erfurt und über meinen Wohnort kreisen. Findet im Sommer statt, da freue ich mich sehr drauf. Ich hoffe, ich kann auch einmal selbst das Steuer übernehmen.

Mh, cool.
Und wenn nicht, dann nehm ich’s mir einfach.

Fliegen. Über den Wolken, wo die Freiheit wohl grenzenlos sein muss. Und wo alle Ängste und Sorgen verborgen bleiben und alles, was uns groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein wird. (Das find ich grad ganz poetisch, vielleicht sollte man darüber mal einen Song schreiben. Aber nur ganz vielleicht.) Zurück zu Jakob, dessen eine große Leidenschaft eben das Fliegen ist. Und die andere große Leidenschaft ist der Sport. Er ist Fußballfan (Rot-Weiß Erfurt), liebt Basketball (Oettinger Rockets), ist bisweilen auch in Schwimmhallen oder auf Skipisten zu finden. Vor allem aber ist er Leichtathlet. Sprinter.

Was ist eigentlich an Sport so geil?
Ich mag dieses Gefühl, wenn man sich richtig gequält hat und einem alles weh tut. Mir gefällt auch dieses Gefühl bei einem Wettkampf, wo man auf andere Sportler trifft, die das gleiche Ziel vor Augen haben; dieses Messen mit ihnen. Dieses Hinarbeiten auf ein Ziel, sich nochmal zu verbessern oder eine Wiederholung mehr als beim letzten Mal schaffen – das ist an Sport geil.

Du magst es echt, dich zu quälen?
Klar. Im Kraftraum oder bei langen Tempoläufen richtig Gas geben und hinterher genau wissen, was man getan hat: das ist echt ein gutes Gefühl. Und speziell an meinem Sport mag ich auch, dass ich immer wieder neue Menschen bei Wettkämpfen kennenlerne und viel rumkomme in Deutschland. Und, naja, vielleicht ja auch mal in der Welt, aber das steht natürlich in den Sternen.

Von Schlossvippach in Thüringen hinaus in die Welt. Jakob Funke kann das schaffen. Fürs Erste hat er den Sprung auf das Pierre-de-Coubertin-Gymnasium in Erfurt geschafft, ein Sportinternat, wo er unter der Woche lebt. An den Wochenenden und den Ferien entspannt er daheim bei seiner Familie, die ihn in aller Regel auch zu seinen Wettkämpfen begleitet. Seine Schwester Nina, 11 Jahre alt, hat er mit seiner Begeisterung für die Leichtathletik angesteckt. Sie eifert ihm nach. („Sie hat Talent, auf jeden Fall.“) Jakob selbst hat mit seinen 16 Jahren schon so viel erreicht, dass er die Anzahl seiner Urkunden, Pokale und Medaillen nur grob schätzen kann. 2015 triumphierte er über 100 Meter bei der Mitteldeutschen Meisterschaft und schaffte es in der nationalen Bestenliste der Sprinter unter 16 Jahren auf einen fantastischen 6. Platz. Zusätzlich schaffte er es zu den Deutschen Meisterschaften im Blockkampf in Lübeck. Er ist außerdem mehrfacher Landesmeister, nicht nur im Sprint, auch im Weitsprung. In diesem Jahr schaffte er auch die Norm für die Deutsche Meisterschaft, lief die 100 Meter in 11,64 Sekunden. Starten konnte er dort dennoch nicht – ein Ermüdungsbruch im Fuß setzte ihn wochenlang außer Gefecht. Er kämpfte sich wieder ran, bestätigte seine guten Leistungen – und peilt nun den nationalen Endlauf 2017 an. Und das nicht mit irgendwem in einer Trainingsgruppe, sondern mit Julian Reus, dem aktuellen deutschen Rekordsprinter.

Dazu muss man aber sagen, dass Julian natürlich einen Extraplan hat. Er macht sein Zeug, wir Jüngeren machen unser Zeug. Aber er spricht viel mit mir, mit uns allen, schaut auch oft zu und gibt gute Tipps.
Ein Vorbild?
Sowohl menschlich als auch sportlich, ja. Und klar: wenn er da ist, schauen wir alle auch mal rüber, ob er grad guckt. Und wenn er dann guckt, geben wir alle nochmal etwas mehr Gas. Er wirkt also auch als Motivator.

Wie fing das eigentlich mit dir und der Leichtathletik an? Bist du da elterlich vorbelastet?
Nee, das gar nicht. Mein Vater hat mich eher zum Fußball animiert, weil er früher selbst gespielt hat. Damit fing ich an, acht Jahre insgesamt in Großrudestedt. Meine Schule hat dann irgendwann einen Crosslauf veranstaltet, den ich gewonnen hab. Mein Sportlehrer fragte mich anschließend, ob ich mal mitkommen wolle zum SV Sömmerda, dem Leichtathletik-Club, wo er Trainer war. Dort habe ich dann eine Woche lang mittrainiert, es gefiel mir gut und ich bin dabei geblieben. In Großrudestedt habe ich dann noch die Fußball-Saison zu Ende gespielt, mich danach voll auf die Leichtathletik konzentriert.

Fiel dir dir Umstellung schwer?
Eigentlich nicht. Im Nachhinein betrachtet habe ich schon beim Fußball-Training Grundlagen zur Leichtathletik aufgebaut. Ich war groß und recht athletisch, auch immer schon relativ schnell. Und lustigerweise hab ich etwa zwei Monate, nachdem ich beim SVS angefangen habe, meinen ersten Wettkampf bestritten, in der Halle über 60 Meter. Hab ich direkt gewonnen, wenn auch sehr knapp. Es war nur eine Hunderstelsekunde Unterschied. Das war eigentlich der Moment, wo ich mich voll für diesen Sport entschieden hab, weil dieser Moment des Sieges so vollkommen unerwartet kam und sich total gut anfühlte.

Beide Sportarten auf einmal gingen nicht mehr?
Das unter einen Hut zu kriegen, wäre schwierig geworden. Eine Zeit lang habe ich zwei Mal pro Woche in Sömmerda trainiert, einen Nachmittag pro Woche Fußball in Großrudestedt. Aber als ich mich entschieden hatte, weiter Leichtathletik zu betreiben, ging ich dort drei Tage in der Woche zum Training. Ich hab dort dann ja auch erstmal alles gemacht. Naja, fast alles…

Was lag dir nicht?
Mein Trainer war der Ansicht, dass mir Hochsprung und Hürdenlauf nicht so liegen, um es mal vorsichtig auszudrücken. Wahrscheinlich hat mir da in der Koordination was gefehlt. Ich war darüber jedenfalls nicht unglücklich.

Du hast eine Zeit lang auch Stabhochsprung gemacht. Davor habe ich ja irren Respekt, weil ich mir dabei vermutlich sämtliche Knochen brechen würde.
Naja, man gab mir irgendwann einen Stab, sagte, wie ich damit laufen und springen muss und dann hieß es „Nun mach mal.“ Das lief erst ganz okay, ich war sogar mit auf einem Lehrgang. Stabhochspringer gibt es auch nicht so sehr viele bei uns, deswegen dachte ich schon, dass das ein Weg sein könnte. Ich bin 2,90 Meter gesprungen, das war ganz gut. Aber dann hatte ich ein traumatisches Erlebnis.

Sämtliche Knochen gebrochen. Ich hab’s gewusst.
Das nicht, glücklicherweise. Beim Abspringen hat sich der Stab nicht gebogen, ich hatte keinen Schwung und stürzte in den Einstichkasten. Ich hab mir nichts weiter getan, aber so einen Unfall wollte ich nicht noch einmal haben, also hab ich das mit dem Stabhochsprung seither gelassen.

Sprint und Weitsprung waren also eher deine Paradedisziplinen.
Ja. Der Sprint sowieso, weil ich eben schon immer recht schnell war. Also lief ich die 100 Meter bzw. in der Halle im Winter die 60 Meter. Und Weitsprung ging auch gut. Da muss man beim Anlaufen schon sehr explosiv sein, das hatte ich durch meine Schnelligkeit ganz gut drauf. Und so machte ich im Weitsprung auch in relativ kurzer Zeit relativ große Fortschritte. Ich kam von 5 Metern schnell auf 5,50 Meter und dann ging es ziemlich immer weiter vorwärts bis an die 6 Meter. Das stellte sich dann aber auch als meine „magische Grenze“ raus.

Magische Grenze?
Das heißt, dass man bis an diese Weite oder diese Zeit in meist großen Schritten rankommt, sich dann aber schwerer tut, diese Grenze zu überwinden. Die sind aber natürlich bei jedem Athlet woanders. Im Sprint liegt meine magische Grenze bei 11 Sekunden, also unter 11 Sekunden möchte ich schon bald laufen. Am liebsten im nächsten Jahr, spätestens in zwei Jahren. Es ist vor allem eine psychologische Geschichte also. Am besten grübelt man über diese Zeit nicht weiter nach, stellt seinen Kopf ab und macht weiter. Das Training führt einen dann hoffentlich über diese Grenze hinaus.

Kommen wir ein bisschen zurück zu deinem Werdegang. Drei Tage die Woche Training, einige Wettkämpfe – wie hast du dann den Sprung nach Erfurt aufs Sportgymnasium geschafft?
Ich hab bei den Landesmeisterschaften im Sprint und im Weitsprung meistens ganz gut abgeräumt. Und da gucken natürlich auch die Trainer von größeren Clubs zu. Zuerst sprach mich der Trainer aus Jena an, ob ich mir vorstellen könne, dorthin zu wechseln. Aber was soll ich sagen: es war Jena. Das kann ich als RWE-Fan einfach nicht machen, nach Jena wechseln. Ist doch logisch.

Na, was für ein Glück, dass dich auch noch der Trainer vom Erfurter LAC ansprach…
Ohja, allerdings. Der lud mich zu einer Probewoche aufs Pierre-de-Coubertin-Gymnasium ein. Das war Ende 2014.

Wie lief das ab?
Das war der komplette Alltag, den ich da erlebte. Vormittags Schule, nachmittags Training, im Internat schlafen. Das hat mir gefallen. Ich hab mich dann mit meinen Eltern besprochen, aber die Entscheidung war für mich relativ schnell klar.

Mit 14 hast du diese Entscheidung getroffen, das muss man in dem Alter ja auch erstmal können. Es ist ja schon ein großer Lebensabschnitt. Und sicher auch entbehrungsreich.
Naja, vor allem war mir klar, dass ich diesen Schritt machen muss, wenn ich mich in meinem Sport verbessern will. Natürlich wollte ich am liebsten nicht von zu Hause weg und im Internat leben. Aber letztlich bin ich nur gut 20 Minuten von zu Hause entfernt, mein Vater arbeitet in Erfurt. Wenn irgendwas sein sollte, könnte immer schnell jemand bei mir sein.

Inwieweit haben deine Eltern Einfluss auf diese Entscheidung genommen?
Die haben mit mir das Für und Wider besproch, aber letztlich mir die Entscheidung überlassen. Und ich glaube, in erster Linie waren sie auch stolz auf mich, dass ich diese Möglichkeit überhaupt bekommen habe und haben sich sehr für mich gefreut.

Wie ist dein Leben im Internat?
In einem Wort ist das schwer zu beschreiben. Es ist eine sehr moderne und gute Schule, ich fühle mich gut aufgehoben. Aber es ist natürlich viel Arbeit. Ich habe in der Woche acht unterschiedliche Trainingseinheiten. Das ist natürlich grad in der Zeit, wo auch noch viele Wettkämpf sind, Stress pur. Am Abend nach dem Training muss ich lernen und Hausaufgaben machen, ich will ein gutes Abitur machen. Also: langweilig wird es mir jedenfalls nicht im Internat.

Freizeit?
Klar, auch. Gerade in einer Phase wie jetzt, wo keine Wettbewerbe anstehen, kann ich auch mal mit Freunden in die Stadt gehen. Oder in den Park zum Fußball spielen.

Hast du die Entscheidung jemals bereut?
Eigentlich nicht. Blöd ist es oft am Sonntagabend, wenn ich wieder ankomme, nachdem ich das Wochenende mit meiner Familie verbracht habe. Da fühlt man sich schon manchmal etwas alleine, aber das Gefühl vergeht auch wieder. Und manchmal fehlt es mir, dass ich nicht mehr Fußball spiele. Also, dieses Training im Team mit den Jungs. Aber wenn ich dann mit Freunden im Park bin, geht auch das Gefühl vorbei. Letztlich bin ich gerne hier, weil ich das hier alles gerne mache und ich meinen Sport liebe. Das ist auch eine große Herausforderung für mich. Man muss sich hier behaupten können.

Ich glaube ja, dass das total super für die Charakterbildung ist. Und du wirst dir sicher in ein paar Jahren sagen, dass sich alle Anstrengungen und Entbehrungen letztlich gelohnt haben.
Ich hoffe es. Selbstsicheres Auftreten lernt man hier auf jeden Fall. Wie gesagt: man muss sich behaupten können. In seiner Trainingsgruppe, in seiner Klasse, in seinem Zimmer. Ich teile mir ja derzeit ein Zimmer mit einem Kollegen, das erste Jahr hier sogar mit zwei anderen Kollegen. Im nächsten Schuljahr hab ich dann aber auch endlich mein Einzelzimmer.

Gut so, man braucht ja schließlich auch mal seine Ruhe und einen Rückzugsort.
Man braucht aber auch Verbündete.

Mein Respekt vor diesem jungen Menschen wächst von Satz zu Satz. Und ich überlege: wie war ich mit 14,15,16? Ich hätte nicht von daheim fort wollen. Internat, ja klar, hatte man drüber gelesen in Romanen oder was dazu in Filmen gesehen. Und, sicher, so eine Gemeinschaft von Gleichaltrigen stellte ich mir auch damals cool vor. Aber diesen Schritt hätte ich nicht gewagt. Feste Regeln, feste Abläufe, viel Druck – ich hätte dankend abgelehnt.
Vor allem aber war ich damals sicher nicht so klar und reflektiert , wie es Jakob ist. Ich vermute ja, dass ich es noch immer nicht bin, obwohl ich gut 20 Jahre älter bin als er. Aber das ist ein anderes Thema, welches ich zuerst in langen Therapiesitzungen abhaken möchte, bevor ich es hier in intimer Runde weiter ausbreite. Jedenfalls: ich ziehe alle imaginären Hüte. Und ich bin sicher, dass es Jakob mit seiner Zielstrebigkeit, seinem Fleiß und seiner Klugheit fürs Leben weit bringen wird. Mindestens im Sport. Aber auch sonst.
Und nun weiter, ich weiß schließlich noch nicht, warum sich jemand den Sprint als seine Sportart aussucht.


In meinem ersten Jahr hier, also im Schuljahr 2015/16, habe ich auch erstmal wieder fast alle Disziplinen gemacht. In der Trainingsgruppe Sprint bin ich seit diesem Sommer, da musste ich mich spezialisieren. Aber auch diese Entscheidung fiel mir nicht schwer.
Was gibt dir der Sprint? Überspitzt gesagt: nach gut 10 Sekunden ist alles vorbei. Ist dafür der Aufwand nicht viel zu groß, für dieses kurze Erleben?
Das Erleben besteht in diesem Fall ja nicht nur aus der Zeit, die man in dem Rennen läuft. Es ist vor allem auch die Motivation, besser zu werden. Ein Wettkampf besteht für mich nicht nur aus den paar Sekunden auf der Bahn. Es ist auch die ganze Vorbereitung, gezielt auf diesen Moment hin. Es ist das Einwärmen, das Dehnen kurz davor oder auch eine Massage. Es ist die Konzentration, der Tunnel, in den man sich begibt. Und es ist hinterher das Auswerten des Wettkampfes. Ich gehe das komplette Rennen mit meinem Trainer Gerhard Jäger durch. Der hat mir schon vieles beigebracht, dem bin ich für sein Coaching sehr dankbar. Und diese Analyse hinterher bringt mich weiter, weil ich es beim nächsten Wettkampf besser machen will. Nebenbei bemerkt: das ist es oft, was nervt. Dass bis zum nächsten Wettkampf unter Umständen noch mehrere Wochen vergehen können. Andererseits macht mich auch grad diese Phase, wo der nächste Wettkampf erst im Mai ist, extrem hungrig.
Was muss man für ein Typ sein, um sich diesem Wettkampf-Druck dann auch zu stellen? Also, klar: idealistisch muss man sein, die Leidenschaft muss man mitbringen, aber das ist ja eh in jedem Job so. Aber wie tickt ein Einzelsportler?
Als Einzelsportler sieht man halt sofort, was man besser machen muss. Das ist der Vorteil: man muss selbst besser werden. Daraus hole ich mir meine Motivation. Bei Staffelläufen erlebe ich dann das Gefühl, Teil eines Teams, einer Mannschaft zu sein. Da muss man sich vor allem aufeinander verlassen können, da basiert alles auf Vertrauen und einer guten Harmonie.
Da überträgt sich der eigene Ehrgeiz wahrscheinlich auch auf seine Teamkollegen. Als Einzelsportler hast du all den Ehrgeiz ganz allein für dich. Und du hast davon richtig viel, vermute ich.
Das ist sicher eine Eigenschaft, die man auch für den Sport mitbringen muss. Ohne Ehrgeiz fehlt ja dann komplett die Bereitschaft, sich im Training zu quälen und sich zu verausgaben. Mein Ehrgeiz äußert sich auch darin, dass es keinen Wettkampf gibt, mit dem ich voll zufrieden bin. Ich kann dann mit meiner Zeit einverstanden sein, aber ich werde immer etwas finden, an dem ich arbeiten will, um es beim nächsten Mal besser zu machen.
Kann man da Erfolge noch genießen?
Ja, aber ich hebe nicht ab. Auch im Erfolg versuche ich, runterzukommen, alles analytisch aufzuarbeiten. Eine weitere wichtige Eigenschaft, die man mitbringen muss für diesen Sport ist Bodenständigkeit. Wenn man sich nach Erfolgen im Wettkampf zu lange selbst feiert und sich darauf ausruht, vernachlässigt man das Training. So kommt man nicht weiter. Man muss immer weitermachen. Man braucht für diesen Sport auch Durchhaltevermögen. Man wird immer mal an den Punkt kommen, wo man aufgeben will. Aber auch wenn’s weh tut: man muss weitermachen.
Wie gehst du mit Niederlagen um? Ist es dann besonders hart, sich aufzuraffen und weiterzumachen?
Nicht mehr dann, wenn ich an dem Punkt bin, analytisch den Wettkampf auszuwerten. Aber unmittelbar nach einem schlechten Lauf bin ich schon sehr empfindlich und ein absoluter Bock. Ich will dann nichts hören. Freunde oder Familie sagen dann „Kopf hoch, beim nächsten Mal stehst du wieder oben.“ Aber wenn mich jemand so anspricht, kann ich auch schonmal giftig werden. Ich hab das mittlerweile etwas abgestellt, früher hatte ich eben dieses zu viel an Ehrgeiz, was mich dann in der Niederlage unfair und jähzornig werden ließ.
Tennisspieler hauen in solchen Momenten ihren Schläger auf den Boden.
Ich werfe mit Wasserflaschen. Aber wie gesagt: mittlerweile beruhige ich mich schneller. Ich weiß ja auch, dass es lieb gemeint ist, wenn mir dann jemand Mut und Kraft zuspricht. Und ich weiß das auch zu schätzen, ich brauch das auch.
Deine Eltern begleiten dich ja sehr regelmäßig zu Wettkämpfen, das ist doch vermutlich auch nochmal zusätzliche Motivation.
Auf jeden Fall. Das ist mir ohnehin sehr wichtig, dass sie meinen Weg mitgehen. Mutti macht zu jedem Wettkampf auch noch einen Nudelsalat und packt mir irgendwelche Powerriegel ein. Diese Unterstützung bedeutet mir sehr viel. Mein Vater fragte mich erst neulich noch, ob ich seine Anfeuerungsrufe höre. Die höre ich nicht, weil ich voll konzentriert bin. Aber es freut mich, dass er mich da anfeuert.
Wie ist das überhaupt mit der Konzentration? Ich kann mich da echt schwer reindenken. Hast du da Tipps für jemanden wie mich, der eine extrem kurze Aufmerksamkeitsspanne hat?
Ich glaub, das kommt einfach mit der Zeit. Ich hab ja schon ein paar Wettkämpfe bestritten, deswegen fällt es mir nun leicht, alles um mich herum auszublenden. Am Anfang war das alles sehr aufregend: das Publikum, der ganze Trubel, der Hallensprecher, der meinen Namen sagt. Mittlerweile blende ich es aus. Ich stelle meinen Kopf ab und denke an nichts anderes mehr. Auch im Rennen selbst ist mein Kopf abgeschaltet. Ich kriege schon mit, wenn mich jemand überholt oder so, aber generell mach ich da einfach mein Ding und konzentriere mich ganz auf den Lauf. Ich muss auch konzentriert sein, weil ich gut vom Start wegkommen will. Ich achte da nur noch auf das Startsignal. Den Start darf ich nicht verpatzen. Im Ziel fällt dann alles von mir ab, da nehme ich wieder alles wahr.
Ich dachte, dass man sich die Motivation für ein erfolgreiches Rennen vielleicht auch über die Anfeuerungen des Publikums holt.
Meine Motivation kommt da aus mir selbst heraus. Ich höre laute Musik. Rap, Techno, AC/DC. Hauptsache, es ist laut. Dabei hau ich mir auf die Oberschenkel oder ins Gesicht oder so. Auch beim Einwärmen bin ich oft allein. Ich bin da schon total fokussiert auf das Rennen.
Gibt’s außerdem noch Rituale, die du pflegst?
Wenn es heißt „Auf die Plätze“, bleibe ich erst noch stehen, atme durch, gucke nach vorne, also auf die Strecke, die ich gleich laufe. Ich lasse mir provokant auch gern extra lange Zeit, selbst dann noch, wenn die anderen neben mir schon am Startblock stehen. Es ist also ein bisschen was Psychologisches. Ein anderes kleines Ritual ist, dass ich schon am Abend vor einem Wettkampf relaxe. Ich nehme ein Bad oder liege auf der Couch, um total runterzukommen.
Du hast vorhin gesagt, dass es dir wichtig ist, dass deine Eltern diesen Weg mitgehen und dich unterstützen. Wohin führt dich dein Weg noch, was sind deine Ziele? Möchtest du von deinem Sport leben können?
In Deutschland kann man allein von Leichtathletik nicht leben. Dazu muss man schon so ein Superstar wie Usain Bolt sein. Es gibt aber Sportförderungsprogramme beispielsweise bei der Bundeswehr, da hat man dann die Möglichkeit, seinen Sport auf hohem Niveau weiter zu betreiben, muss dafür aber natürlich auch immer Topleistungen bringen. Mein Wunsch ist es natürlich, meinen Sport weiter betreiben zu können. Da muss man aber unterscheiden zwischen Zielen und Träumen. Natürlich träume ich von einem Endlauf bei Olympia, aber das schafft in Deutschland nur einer von Tausend. Und ich würde natürlich auch gerne im U18- oder U20-Bereich einmal das Nationaltrikot anziehen, also bei internationalen Wettkämpfen starten.
Und deine Ziele?
Primär ist mein Ziel, in den Wettkämpfen ab Mai die Normen zu schaffen, um bei den Deutschen Meisterschaften starten zu können. Dazu muss ich eine Zeit von 11,4 Sekunden laufen, das ist absolut machbar. Und ich will mein Abitur machen in ein paar Jahren. Das ist mir ganz wichtig.
Und wenn es mit dem Sport nicht klappt, wirst du Pilot?
Das kann ich mir gut vorstellen. Polizist wäre auch eine Möglichkeit. Oder Sportlehrer.
Na gut, da musst du dich ja jetzt noch nicht festlegen... Einen heiklen Punkt muss ich noch ansprechen: kann man ein guter Leichtathlet werden, wenn man nicht dopt? Anders gefragt: reichen nur Talent und Training, um Spitzenleistungen zu bringen?
Auf nationaler Ebene ist das auf jeden Fall möglich. Julian Reus hält den deutschen Rekord über 100 Meter in 10,01 Sekunden. Das hat er durch Fleiß geschafft. Weltweit – naja, da ist es eher nicht möglich, das nur über Trainingszeiten zu regeln. Bei Bolt glaub ich aber, dass der nie gedopt hat. Das ist ein Naturtalent.
Doping ist natürlich ein Thema im Sport, leider auch vor allem im Leichtathletik-Bereich. Kontrollen sind da schärfer geworden, es gibt auch mittlerweile härtere Sanktionen.
Das ist ja auch richtig so. Der reine sportliche Wettbewerb wird ja durch Doping außer Kraft gesetzt. Es gibt aber auch in vielen Medikamenten oder Nahrungsergänzungsmitteln Stimulanzien, die man eben nicht zu sich nehmen darf. Die sind da versteckt drin, man kriegt es als Verbraucher nicht mit und wenn du dann unangekündigt auf Doping getestet wirst, stehst du dumm da. Ich finde, da müssen auch Hersteller dieser Mittel in die Pflicht genommen werden, den Inhalt dieser Stimulanzien sichtbar zu machen.
Ist das bei euch im Internat ein Thema? Gibt’s da Kontrollen?
Nein, in meiner Altersstufe gibt’s die noch nicht, die gibt es so ab 17 oder 18 Jahren. Ein Thema ist es natürlich trotzdem. Man spricht darüber und tauscht sich viel aus, weil es einige bei uns gibt, die beispielsweise Nahrungsergänzungsmittel nehmen. Ich hab mir nun eine App runtergeladen, dank der ich sehen kann, was wo drin ist und eigentlich als verbotene Substanz auf der Dopingliste steht. Das ist ganz praktisch.
Wie geht’s für dich nun weiter? Die nächsten Wettkämpfe im Mai hast du ja schon angesprochen.
Genau, darauf arbeite ich hin. Das Training wird nun langsam immer intensiver, wir arbeiten daran, die DM-Norm zu schaffen. Oft geht es da ja nur um ein paar Hundertselsekunden, um die man sich verbessern muss. Das klingt sehr wenig, ist für uns aber sauviel, weil die entscheidend sein können. Und dann hab ich mir vorgenommen, vielleicht auch mal die 200 Meter verstärkt in Angriff zu nehmen.
400 Meter, 800 Meter, Marathon?
Marathon reizt mich überhaupt nicht, vielleicht, wenn ich mit dem Sport mal aufhöre, also keine Wettkämpfe mehr mache. 400 Meter und 800 Meter kann ich nicht. Auf solchen Strecken kommt es vor allem auf eine gute Einteilung seiner Kondition an. Und ich bin nunmal Sprinter.
Apropos aufhören: ist der Karriere eines Leichtathleten nicht auch schon so mit 30,35 ein natürliches Ende gesetzt?
In der Regel ist das so, aber es gibt auch Ausnahmen wie Kim Collins, der ist Anfang 40 und läuft immer noch. Oder hier in Deutschland eher bekannt ist Alexander Kosenkow, der jetzt 39 ist. Grundsätzlich würde ich nie ganz mit Sport aufhören, selbst wenn es auf einer gewissen Leistungsebene nicht mehr funktionieren würde. Wer einmal mit Sport angefangen hat, kommt davon auch nicht mehr los. Und dann ist es auch so, dass man nach einer aktiven Karriere als Spitzensportler wieder abtrainieren muss. Man bestreitet zwar keine Wettkämpfe mehr, aber man muss halt etwas Muskeln wieder abbauen. Naja, wie gesagt: ohne Sport wird es nie mehr gehen bei mir.
 

Nun, da du mir deinen Sport nähergebracht hast, kommen nun meine sechs Abschlussfragen. Ich bin bereit, wenn du es bist!
Bereit!
Wen würdest du gerne mal interviewen?
Usain Bolt natürlich. Würde ihn gerne fragen, ob er Tipps für mich hat. Aber ich würde auch gerne mal Clueso treffen und mich mit ihm unterhalten. Nicht nur, weil er Erfurter ist, sondern auch, weil er einen sehr sympathischen und bodenständigen Eindruck macht.
Ein Lied, Buch oder Film passend zu deiner momentanen Lebenssituation?
Im Moment bin ich einfach nur geschafft von einer anstrengenden Woche mit Schule und Training. Deswegen fällt mir da nur das Lied „Chilln“ von Cro ein.
Was machst du jetzt direkt im Anschluss?
Ein Bad nehmen. Und dann mal gucken, was Mutti leckeres gekocht hat.
Beste Beleidigung, die du kennst?
Trulla. Oder Trollo. So hab ich dich doch auch schon öfter genannt.
Dein Glück, dass ich mich daran nicht mehr erinnere.
Na gut. Eule geht auch gut als Beleidigung durch. Aber ganz ernsthaft: ich bin viel zu harmoniebedürftig, dass ich jemanden schlimm beleidigen würde. Meistens sag ich’s dann nur zu mir in meinem Kopf. Aber ich will keinen Streit.
Was kannst du mir erzählen, was ich noch nicht weiß?
Ich hab vor ein paar Tagen eine Bio-Arbeit geschrieben über das endoplasmatische Reticulum. Ich find den Begriff ja schon lustig. Und du weißt sicher nicht, was das ist.
Natürlich weiß ich das!
Verdammt. Aber du weißt nicht, was Trigonometrie ist und wie man Sinus und Cosinus errechnet.
Erwischt!
So!
Was darf ich dir wünschen?
Dass ich verletzungsfrei bleibe. Es war in letzter Zeit recht viel. Neben dem Ermüdungsbruch letzten Sommer hier und da ein paar Kleinigkeiten wie Prellungen. Das muss nicht mehr sein.
Ich wünsch dir das und ohnehin von allem nur das Beste! Danke für das Gespräch!
Ich danke dir!